News

Zeitzeugengespräch am Staatlichen Koblenz-Kolleg

„Von diesem Staat von Kindheit an belogen und betrogen“ - Zeitzeugengespräch am Staatlichen Koblenz-Kolleg

Am 5. April 2019 ergab sich für den Geschichte-Leistungskurs der K4 die Möglichkeit, ein von unserem Geschichtslehrer Herrn Dr. Heinz in die Wege geleitetes Zeitzeugengespräch zu erleben. Die Zeitzeugin war die 1958 in Jena in der ehemaligen DDR geborene Elke Schlegel. Sie klärte uns über die Zustände, die in der SED-Diktatur herrschten, auf.

Komplette Einschränkungen der Privatsphäre waren noch der harmlosere Teil. Die Möglichkeiten für die gelernte Hotelfachfrau, die DDR zu verlassen, bestanden allein in Reisen ins sozialistische Ausland. Nach der endlosen Suche nach einer freien Wohnung stellten Elke Schlegel und ihr Mann, die sich beide in der oppositionellen Friedensgemeinschaft Jena engagierten, 1983 einen Ausreiseantrag. Damit machten sie sich zu Staatsfeinden. Es folgten berufliche Nachteile, der Entzug der Personalausweise und vorläufige Festnahmen. Einen kurzen Hoffnungsschimmer gab es erst, als der Ausreiseantrag genehmigt wurde. Dennoch brach ein Überfallkommando der Staatssicherheit frühmorgens bei der jungen Familie ein, um das Paar zu verhaften. Der zweijährige Sohn musste daraufhin bei seiner Großmutter abgegeben werden. Nach einem dreizehnstündigen Verhör in der Untersuchungshaft in Gera wurde das Paar in getrennte Zellen gesteckt. Angstzustände infolge der ungewissen Lage waren ein ständiger Begleiter. Wegen angeblich versuchter „Republikflucht“ und „ungesetzlicher Verbindungsaufnahme“ zu einem Verwandten im westdeutschen Neuwied wurde Frau Schlegel unter Ausschluss der Öffentlichkeit schließlich zu anderthalb Jahren Gefängnisstrafe im Frauengefängnis Hoheneck verurteilt.

Dort waren die Haftbedingungen noch schlechter, vor allem für sie als politische Gefangene. Die Inhaftierten plagten sich mit Krankheiten, Ängsten und Schikanen durch das weibliche Wachpersonal. Nachdem sie es gewagt hatte, das Volkslied „Die Gedanken sind frei“ zu singen, wurde Frau Schlegel umgehend in eine „Wasserzelle“ gebracht. Eine Foltermethode, bei der das eiskalte und kniehoch in der Zelle stehende Wasser ständig erneuert wird, um den Willen des Häftlings zu brechen. Auch Zwangsarbeit im Gefängnisbetrieb war an der Tagesordnung. Nichtsdestotrotz hielt Frau Schlegel durch, bis sie 1984 von der Bundesrepublik freigekauft und nach Westdeutschland in die Freiheit entlassen wurde. Im Westen angelangt, folgte ihr ihr Mann nach, der bald darauf freigelassenen worden war, bis ein Jahr später auch ihr kleiner Sohn die DDR verlassen und in die Bundesrepublik einreisen durfte.

Frau Schlegel, die so vieles erleiden musste und als Opfer der SED-Diktatur noch heute mit Alpträumen aufgrund der menschenunwürdigen Zustände ihrer Haft zu kämpfen hat, beendete ihr anderthalbstündiges Zeitzeugengespräch am Koblenz-Kolleg mit einem Aufruf an die Kollegiaten, ihre in der Bundesrepublik bestehenden politischen Freiheiten wahrzunehmen. In der DDR, von der sie als Staat „von Kindheit an belogen und betrogen“ worden war, sei daran nicht zu denken gewesen.

Wir bedanken uns bei Frau Schlegel herzlich für Ihren Besuch sowie bei Herrn Dr. Heinz, der uns dieses Erlebnis ermöglicht hat.

 

Burak Man, Dominik Nett, K4

 

Zurück